Gestern waren wir trotz Regen lange im Wald und haben viele tolle Dinge gesammelt, die jetzt hier auf unserem Balkon liegen und genauso ungeduldig wie ich darauf warten, dass es endlich, endlich
losgeht. Womit? Na, mit dem Basteln unseres Adventskranzes! Denn am Sonntag ist doch schon der 1. Advent, und da wollen wir doch die erste Kerze anzünden!
Wisst Ihr eigentlich, wer den Adventskranz erfunden hat? Den gibt es nämlich noch gar nicht soooo lange. Naja, ne ganze Weile schon. Aber es ist keine wirklich ganz alte Weihnachtstradition.
Den ersten Adventskranz hat Johann Hinrich Wichern gebastelt. Das war in der Gegend von Hamburg im Jahr 1839, also in einer Zeit, die durch die Industrialisierung geprägt war. Es gab immer mehr Fabriken, in denen man immer einfacher größere Mengen verschiedenster Dinge herstellen konnte, und auch in der medizinischen Forschung machte man große Fortschritte. Die Lebenserwartung der Menschen stieg, und es starben immer weniger Babys und kleine Kinder. Dadurch wurden es natürlich immer mehr Menschen, die auch alle einen Platz zum wohnen, etwas zu essen und dafür natürlich Arbeit und Lohn brauchten und von denen natürlich die meisten auch etwas von den Errungenschaften des Fortschritts und der Industrialisierung abhaben wollten. Doch für viele bedeutete es erst einmal vor allem große Armut. Die Landwirtschaft hatte sich noch nicht darauf eingestellt, so viele Menschen mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Vielerorts wurden also Lebensmittel knapp und damit auch teurer. Die Menschen brauchten für die Fabriken viel Energie, damals vor allem Holz, das sie verbrannten, und mussten erst lernen, dass man sich in der Natur in solchen großen Mengen nicht einfach nur bedienen kann, sondern auch dafür sorgen muss, dass es Nachschub gibt, zum Beispiel, indem man neue Bäume pflanzt und nicht mehr Bäume fällt, als nachwachsen können. Da aber noch niemand auf so etwas achtetet, wurde lange Zeit nur abgeholzt, und es kam bald zu einer Holzknappheit. Dadurch mussten auch viele Fabriken wieder schließen, weil sie einfach nicht mehr oder nicht mehr zu einem akzeptablen Preis an die Energie kamen, die sie für die Produktion ihrer Waren brauchten. Die Mobilität war noch nicht die, die wir heute kennen, Entfernungen noch eine ganz andere Herausforderung. Man konnte also nicht so wie heute zwischen Arbeits- und Wohnort hin- und herpendeln. Die Leute zogen also, wenn sie in der Heimat nicht ausreichend Arbeit fanden, um ihre Familien zu ernähren, meistens mitsamt der ganzen Familie dorthin, wo sie hofften, etwas Geld verdienen zu können. Viele Menschen hofften auf Arbeit in den Städten, weshalb vor allem dort die Einwohnerzahlen regelrecht explodierten. Auch hier musste man erst lernen, Städte solcher Ausmaße überhaupt zu organisieren. Nennenswerte Rechte hatten die Arbeiter in diesen Zeiten noch keine. Jeder war froh, wenn er überhaupt einen Job bekam, und die meisten Fabrikanten bedienten sich einfach dieser Arbeitskräfte, ohne dass es irgendwelche Regeln zu Arbeitszeiten, Sicherheitsvorkehrungen während der Arbeit, gerechter Bezahlung und ähnlichem gab. Die meisten Arbeiter lebten in bitterer Armut. Selbst kleine Kinder schufteten damals in den Fabriken - und das gewöhnlich für einen Hungerlohn. Im Königreich Preußen zum Beispiel trat erst 1839 ein Gesetz in Kraft, das es zumindest verbot, Kinder unter 9 Jahren in Fabriken arbeiten zu lassen, und das festlegte, dass Kinder zwischen 9 und 16 Jahren nicht mehr länger als 10 Stunden täglich und nicht mehr an Sonntagen und nachts arbeiten durften. Das waren die allerersten Anfänge des deutschen Kinder- und Jugendschutzes. Auch eine flächendeckende Schulpflicht - und damit ein Recht auf Unterricht - gab es damals in den deutschen Gebieten noch nicht. Zwar gab es seit dem 16. Jahrhundert immer wieder einmal in einzelnen Regionen gesetzliche Regelungen zur Schulpflicht, da es aber noch keinen einheitlichen deutschen Staat gab, gab es auch noch kein einheitliches Bildungssystem. Erst 1919 wurde eine allgemeine Schulpflicht für alle Kinder in ganz Deutschland in der Weimarer Verfassung festgeschrieben.
Aber schon in der Zeit von Johann Hinrich Wichern waren soziale Gerechtigkeit und Bildung große Themen, auch wenn viele Ideen und Ziele, für die man kämpfte, aus unserer heutigen Sicht winzigklein erscheinen mögen. So kämpfte man in seiner Zeit zum Beispiel vielerorts darum, dass überhaupt erst einmal Listen angelegt werden, auf denen alle Kinder im Schulalter aufgeführt sind, eine Voraussetzung dafür, eine allgemeine Schulpflicht einzuführen und durchzusetzen und überhaupt zu planen, wie viele Schulen und Lehrer man braucht. Man kritisierte erstmals in größerem Maße, dass häufig Kinder in unterschiedlichem Alter und mit ganz unterschiedlichem Wissensstand in ein- und demselben Klassenzimmer gemeinsam unterrichtet wurden. Man setzte sich dafür ein, dass für Mädchenschulen gleiche Bildunsstandards und Maßstäbe für die Ausstattung gelten sollten wie für die Schulen, in die die Jungen gingen. Man machte sich über bauliche Vorgaben und Zweckmäßigkeit von Schulgebäuden Gedanken, über Hygiene, beschloss, Lehrern zusätzlich zu den Schulgeldeinnahmen ein Gehalt zu zahlen. Und auch über die Methoden in der Erziehung und die Bedeutung von Bildung machte man sich in dieser Zeit sehr viele Gedanken.
In dieser Zeit also lebte der Theologe, Lehrer und Sozialarbeiter Johann Hinrich Wichern. Als junger Mann trat er eine Stelle als Oberlehrer an der Sonntagsschule der St. Georg Gemeinde vor den
Toren von Hamburg an. In dieser Gegend traf Johann Hinrich Wichern auf sehr viel Armut und Elend, geistige und sittliche Verwahrlosung. Er schloss sich einem Verein an, der die Familien der
Sonntagsschüler zu Hause besuchte, um diese ein wenig mit Rat und Tat zu unterstützen. Ein Jahr später kaufte er in einem Vorort von Hamburg ein altes Bauernhäuschen und gründete dort eine kleine
Wohngemeinschaft "zur Rettung verwahrloster und schwer erziehbarer Kinder", in der er dann mit seiner Mutter, seiner Schwester und einigen Jungen, die er zur Betreuung bei sich aufgenommen hatte,
in einer Art Familie wohnte. Die Gemeinschaft wuchs schnell, es mussten neue Häuser gebaut und Betreuer eingestellt werden. Später wurden zusätzlich zu den Jungen auch Mädchen in den
Wohngemeinschaften aufgenommen, die nach wie vor wie in großen Familien zusammenlebten, immer 10 - 12 Kinder gemeinsam mit einem Betreuer.
Und genau das war der Ort, an dem der erste Adventskranz entstanden ist! Wie gesagt, es war das Jahr 1839. Wie in jedem Jahr quängelten die Kinder schon lange, lange vor Weihnachten, wann es denn
endlich so weit sei, wie lange sie noch warten müssten. Schon im November dachte Johann Hinrich Wichern daran, dass er wohl wieder unzählige Male am Tag antworten müsse, wie viele Tage es noch
dauert bis zum großen Fest, dass er diese Frage "Wie lange denn noch?" jeden Tag öfter gestellt bekommen würde, und er dachte an die enttäuschten Gesichter und das traurige "Oooch, sooooo lange
noch!", das er so häufig zu hören bekommen würde. Da kam ihm eine Idee. Er ging in die Scheune, in der auch Kutschen, Werkzeuge, landwirtschaftliche Geräte und alles untergebracht war, was man so
auf einem Hof so brauchte. Dort fand er auch ein Wagenrad. Auf dieses Wagenrad setzte er nun 24 Kerzen - 20 kleinen rote und 4 großen weiße. Und damit war der erste Adventskranz geboren - oder
eher eine Mischung aus Adventskranz und Adventskalender. Ab dem 1. Dezember wurde jeden Tag eine Kerze mehr angezündet, und jedes Kind konnte selbst abzählen, wie viele Tage es noch dauerte bis
zum Weihnachtsfest. Außerdem machte die Freude mit dem Lichterkalender das Warten gleich viel einfacher.
Die meisten unserer heutigen Adventskränze haben nur noch vier Kerzen - für jeden Adventssonntag oder jede Adventswoche eine. 24 Kerzen wären in den meisten Wohnungen und auf den meisten
Wohnzimmertischen auch etwas zu viel. Wir haben auch schon vier Kerzen bereitliegen ... oder besser gesagt: acht - vier weiße und vier rote, weil wir den Kranz doch erst noch basteln müssen und
noch nicht genau wissen, welche besser passen. Das werden wir dann beim Basteln entscheiden. Und natürlich werde ich euch von unserem Adventskranz-"Bau" berichten und davon, für welche Kerzen wir
uns entschieden haben.